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Hausärztinnen- und Hausärzteverband fordert Krisengipfel

Mit Blick auf die sich weiter zuspitzende Lage in den Praxen fordert der Hausärztinnen- und Hausärzteverband Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach auf, zeitnah einen Krisengipfel einzuberufen. Ziel müsse sein, die hausärztliche Versorgung zu stabilisieren und zu fördern – andernfalls drohe sie wegzubrechen.

Berlin, 24.10.2023. Das Thema hausärztliche Versorgung müsse endlich ganz oben auf die Prioritätenliste und damit auf den Schreibtisch des Bundesgesundheitsministers, betont der Hausärztinnen- und Hausärzteverband in einer Pressemitteilung. Es brauche einen koordinierten und nachhaltigen Plan, wie die hausärztliche Versorgung stabilisiert werden könne, bevor es zu spät sei.

Die Delegiertenversammlung des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes hatte im September einen Katalog mit sechs Forderungen zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung verabschiedet. Der Hausärzteverband Hessen steht hinter diesen Forderungen: „Wenn es mittel- und langfristig noch eine wohnortnahe hausärztliche Versorgung geben soll, muss die Politik diese sechs Punkte angehen“, so Christian Sommerbrodt, erster Vorsitzender des Hausärzteverbandes Hessen.

Forderungen des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes:

1. Reform der Versorgungsstrukturen

Die zeitlichen Ressourcen, die für die Patientenversorgung zur Verfügung stehen, sind begrenzt. Sie müssen deshalb jenen Patientinnen und Patienten zuteilwerden, die diese wirklich brauchen. Nicht notwendige, ungesteuerte und rein administrative Kontakte von Patientinnen und Patienten mit den (haus)ärztlichen Praxisteams müssen daher deutlich reduziert werden. Für eine hochwertige und effiziente Versorgung der Patientinnen und Patienten im komplexen deutschen Gesundheits- und Sozialsystem bedarf es mehr Steuerung und Orientierung durch die Hausärztinnen und Hausärzte. Dies bedeutet unter anderem:

  • Abschaffung der starren Quartalslogik im ambulanten Bereich, die in ihrer aktuellen Form Fehlanreize in der Versorgung setzt.
  • Auskömmliche quartalsübergreifende Struktur- oder Vorhaltepauschalen (analog Krankenhaus), um Einrichtung und Erhalt allseits verfügbarer Praxisstrukturen einfach und nachhaltig zu finanzieren.
  • Umsetzung des Primats „Versorgung am Bedarf nicht an Bedürfnissen“ im Zuge der Reform der Notfallversorgung. Bei der Erarbeitung von Reformvorschlägen sind alle an der (Notfall-)Versorgung teilnehmenden Gruppen zu beteiligen.
  • Berücksichtigung der Empfehlungen des Sachverständigenrats Gesundheit (SVR)
  • „Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung“ (Gutachten 2018) sowie der WHO-Empfehlung aus 2008, wonach die Orientierung von Gesundheitssystemen stärker auf die gesundheitliche Primärversorgung ausgerichtet werden muss.

2. Moderne Teamstrukturen in Praxen fördern und Versorgungsressourcen schonen

Die Versorgung der älter werdenden Bevölkerung wird unter anderem aufgrund der rückläufigen Versorgungskapazitäten im hausärztlichen Bereich künftig nicht mehr überall in den bestehenden Praxisstrukturen und -prozessen erfolgen können. Unsere Praxen - und damit der gesamte ambulante ärztliche Versorgungsbereich - leben von Teamarbeit und angemessener Bezahlung aller. 

Deshalb benötigen wir unter anderem

  • Die finanzielle Stärkung der wertvollen Arbeit der Praxisteams im EBM, etwa in Form eines längst überfälligen fairen Teampraxis-Zuschlages.
  • Keine Zersplitterung der Versorgung mit immer neuen Schnittstellen (Gesundheitskiosk, Community Health Nurse etc.), sondern Stärkung der bestehenden Teams und Praxen und ein klares Bekenntnis zur hausarztzentrierten, multiprofessionellen Teampraxis (HÄPPI) mit hybrider (digital und analog) persönlicher, patientenzentrierter Versorgung.

3. Angemessene und faire Finanzierung

Die nachhaltige Finanzierung des gemeinsamen Solidarsystems bleibt eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Die aktuellen Inflationsraten führen in den Hausarztpraxen zu Kostensteigerungen an allen Ecken und Enden (Energiekosten, Mieten, Gehälter, Technik etc.), die bisher durch keine systematische Steigerung der Einnahmen kompensiert wird.

Für eine stabile Versorgung der Versicherten ist die angemessene Honorierung der hausärztlichen Arbeit in den Praxen jedoch zwingend erforderlich. Die Basis der ambulanten Versorgung sind die hausärztlichen Praxen. Ihre Leistungen dürfen nicht gekürzt werden.

Das bedeutet:

  • Entbudgetierung: Die „MGV+“ im hausärztlichen Bereich ist den Hausärztinnen und Hausärzten von der Politik versprochen worden und muss nun endlich (2023!) beschlossen werden Da der derzeitige EBM die tatsächlichen Aufwände der hausärztlichen Teams nicht angemessen abbildet, gefährdet ein reines EGV-System die Finanzierung der Praxen.
  •  Umgehende und Grundlegende EBM-Reform mit folgenden zentralen Inhalten:
    - Hausärztliche Versorgung konkretisieren, stärken und aktiv finanziell fördern
    - Mehr continuity of care und weniger Einzelleistungen
    - Steuerung insbesondere von multimorbiden Menschen im EBM abbilden und fördern
    - Angemessene Finanzierung der Hausbesuche
    - Inflationsausgleich über eine faire Steigerung des Orientierungspunktwerts (OPW)
    - Kalkulation aller hausärztlichen Leistungen (Mix AL und TL) angepasst an die hausärztliche Arbeitsweise
    - Kopplung der Lohnkosten für Praxismitarbeitende eins zu eins an die Entwicklung im stationären Sektor

 4. HZV als Präventionsleistung fördern

Die HZV ist mit etwa neun Millionen eingeschriebenen Versicherten ein fester Bestandteil des deutschen Gesundheitssystems. Diverse Untersuchungen haben überdies positive Ergebnisse für die Patientinnen und Patienten im Bereich der Primär-, Sekundär-, Tertiär- und Quartärprävention nachgewiesen. HZV-Patientinnen und -Patienten sind besser versorgt, haben höhere Impfquoten, weniger Inanspruchnahmen von Notfallstrukturen etc.

Mit der Einschreibung in die HZV leisten Patientinnen und Patienten einen wichtigen Beitrag für ihre Gesundheitsprävention.

  • Die Teilnahme an der HZV sollte deshalb auch formal durch den Gesetzgeber als Präventionsleistung anerkannt und durch die Krankenkassen, im Rahmen ihrer Präventions- und Bonusprogramme für die Patientinnen und Patienten, bonifiziert werden.
  • Auch die Krankenkassen sollten davon profitieren, wenn ihre Versicherten mehr hausärztliche Steuerung in Anspruch nehmen und sich darauf aufbauend die Inanspruchnahme gebietsfachärztlicher und stationärer Versorgung am Versorgungsbedarf orientiert.

5. Digitalisierung, die funktioniert

Zeit ist eine der wichtigsten und knappsten Ressourcen im Gesundheitssystem. Die Hausärztinnen und Hausärzte begrüßen deshalb die weitere Digitalisierung der Versorgungsprozesse. Sie soll Entlastung schaffen (Ressourcen schonen) und Mehrwerte in der Versorgung bieten. Dazu gehört auch ein weiterer Ausbau der telemedizinischen Versorgung, die aber eng an bestehende hausärztliche Versorgungsstrukturen angebunden sein muss.

Grundvoraussetzung aller Maßnahmen rund um die Digitalisierung ist aber im ersten Schritt, dass die Technik die Prozesse vollständig und nicht teilweise digitalisiert, dass sie störungsfrei funktioniert und eine Performanz bietet, die die eng getakteten Prozesse in den hausärztlichen Praxen beschleunigt und unterstützt, anstatt sie zu stören und damit zu verlangsamen.

Dazu muss die Entwicklung technischer Anwendungen in enger Abstimmung mit Praktikerinnen und Praktikern an der Basis der Versorgung erfolgen und umfassend unter Realbedingungen getestet werden. Die daraus entstehenden Anwendungen werden dann von allein eine entsprechend breite Nutzerschaft finden und müssen nicht durch Zwangsmaßnahmen eingeführt werden. Jegliche Sanktionen gegen die Ärzteschaft lehnen wir ab.

6. Reform der Approbationsordnung

Die aktuelle Altersstruktur der Hausärztinnen und Hausärzte – mehr als ein Drittel ist älter als 60 Jahre – macht mehr als deutlich, dass massiver Bedarf für Nachbesetzungen der hausärztlichen Arztsitze besteht, wenn das aktuelle Versorgungsniveau aufrechterhalten werden soll. Die universitären Ausbildungsstrukturen scheitern jedoch weiter daran, ausreichend hausärztlichen Nachwuchs auszubilden.

Die Allgemeinmedizin muss deshalb entsprechend dem Konsens zum Masterplan Medizinstudium 2020 endlich in der Approbationsordnung gestärkt werden. Dafür ist mindestens die Reform der Approbationsordnung nach den mit den Ländern abgestimmten Vorschlägen des BMG zeitnah umzusetzen. Die Einrichtung zusätzlicher Studienplätze der Humanmedizin darf erst nach Umsetzung der neuen Approbationsordnung erfolgen.

Die Ausbildung muss darüber hinaus viel stärker ambulant erfolgen, um dem Versorgungsbedarf der Bevölkerung gerecht zu werden. Es ist für ein funktionierendes Gesundheitssystem nicht sinnvoll, mehr Geld in ein ungesteuertes Ausbildungssystem zu geben.

Das Sechs-Punkte-Forderungspapier des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes steht unter https://www.hausaerzteverband.de/fileadmin/user_upload/Veranstaltungen/2023_09_22_HAEV_Forderungen.pdf zum Download zur Verfügung.