Skip to main content
  • News

Bundessozialgericht: Poolärzte können sozialversicherungspflichtig sein
– Auswirkung des Urteils auf ärztlichen Notdienst in Hessen offen

Ärztinnen und Ärzte, die ab und zu in Notfallpraxen aushelfen, sind nach einem aktuellen Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) unter bestimmten Umständen sozialversicherungspflichtig. Ärzteverbände schlagen Alarm, einige Kassenärztliche und Kassenzahnärztliche Vereinigungen setzen ab sofort keine Poolärzte mehr ein. Die KV Hessen gibt vorerst Entwarnung, betont aber, man müsse die schriftliche Urteilsbegründung abwarten.

Kassel, 24. Oktober. Sogenannte Poolärzte und -zahnärzte im Notdienst unterliegen nach einem Urteil des BSG vom 24. Oktober 2023 der Sozialversicherungspflicht. Dies gelte vor allem dann, wenn sie in die Notdienstpläne der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) eingebunden seien, Räume, Geräte und Personal der KV nutzten und nach Stunden bezahlt würden, befanden die Kasseler Richter (AZ: B 12 R 9/21 R). Sie betonten allerdings, dass es bei der Abgrenzung zwischen selbstständiger und abhängiger Tätigkeit immer um die konkreten Umstände gehe: Im konkreten Fall habe die Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg den Notdienst gestaltet, auf deren Modell sich dann auch das Urteil beziehe.

Auswirkungen des Urteils auf Hessen noch offen

Inwieweit sich die BSG-Entscheidung auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst in Hessen auswirkt, ist noch unklar. „Da noch keine schriftliche Urteilsbegründung vorliegt, können wir das noch nicht abschließend beurteilen“, sagt Christian Sommerbrodt, erster Vorsitzender des Hausärzteverbandes Hessen. Zurzeit sei jedoch davon auszugehen, dass die im Ärztlichen Bereitschaftsdienst in Hessen tätigen Kollegen in einer anderen Situation seien als das zahnärztliche Mitglied der KZV in Baden- Württemberg, das geklagt hatte. „In Hessen ist die Vergütungssystematik eine andere: Anders als in Baden-Württemberg, wo ein fester Stundensatz ohne die Möglichkeit zur eigenen Abrechnung gezahlt werde, wird in Hessen nach Leistung und nicht nach Stundenlöhnen vergütet“, so Sommerbrodt.

Vor Gericht gezogen war ein Zahnarzt aus Baden-Württemberg. Er hatte 2017 seine Praxis verkauft und war nicht mehr zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. In den Folgejahren übernahm er überwiegend am Wochenende immer wieder Notdienste, die von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung organisiert wurden. Sie betrieb ein Notdienstzentrum, in dem sie personelle und sächliche Mittel zur Verfügung stellte. Der Zahnarzt rechnete seine Leistungen nicht individuell patientenbezogen ab, sondern erhielt ein festes Stundenhonorar.
Nach einem Streit wurde der Zahnarzt nicht mehr zum Notdienst herangezogen. Daraufhin leitete er ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren ein, um zu klären, ob seine Notdienst-Schichten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gewesen waren. Die Rentenversicherung sah den Zahnarzt als selbstständig und damit nicht sozialversicherungspflichtig an. Er zog daraufhin vor Gericht – und bekam in beiden Vorinstanzen zunächst Recht: Es habe kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis und damit auch keine Sozialversicherungspflicht bestanden.

BSG: Abwägung der konkreten Umstände erforderlich

Dies sah der 12. Senat des BSG anders: Allein die Teilnahme am vertragszahnärztlichen Notdienst bedeute nicht automatisch, dass von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen sei. Vielmehr sei eine Gesamtabwägung der konkreten Umstände vorzunehmen. Im konkreten Fall unterliege der Zahnarzt der Versicherungspflicht: Er habe lediglich Notfallbehandlungen vornehmen und zugewiesene Schichten nicht mehr absagen, sondern nur noch tauschen können. Er sei nach Stunden bezahlt worden und habe kein unternehmerisches Risiko getragen. Auch seien Räumlichkeiten, Personal, Geräte und Material von der KZV gestellt worden. Dass der Kläger bei der konkreten medizinischen Behandlung als Zahnarzt frei und eigenverantwortlich handeln konnte, falle nicht entscheidend ins Gewicht.

Sommerbrodt: „Urteil gefährdet ambulante Versorgung insgesamt“

„Fest steht wohl: Das BSG-Urteil gefährdet vielerorts nicht nur den Bereitschaftsdienst, sondern die ambulante Versorgung insgesamt“, sagt Christian Sommerbrodt. In vielen KV-Regionen seien die Hausärztinnen und Hausärzte zwingend darauf angewiesen, dass auch Poolärztinnen und Poolärzte Bereitschaftsdienste übernehmen. Ohne sie würden niedergelassene Ärztinnen und Ärzte in immer mehr Notdienstschichten eingeteilt. „Und das heißt, dass die Kolleginnen und Kollegen, die bereits jetzt am Limit arbeiten, auch noch zusätzliche Nacht- und Wochenendschichten leisten müssten“, so Sommerbrodt. Eine derartige Mehrbelastung könne dazu führen, dass Hausärztinnen und Hausärzte ihre Sprechstundenzeiten reduzieren oder ganz aussteigen – und dass sich junge Kolleginnen und Kollegen gar nicht erst niederlassen. Dabei fehlten bundesweit bereits jetzt 5.000 Hausarztsitze. Mit Blick auf diese Situation sei eine Reform des Notdienstes dringender denn je.