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Psychosomatische Grundversorgung: Was bei der Abrechnung zu bedenken ist

Psychosomatische Grundversorgung ist eine hausärztliche Aufgabe – deren Abrechnung ist indes komplizierter als man denkt. Kürzlich erreichten die Regress-Arbeitsgruppe des Hausärzteverbandes Hessen mehrere Nachrichten über Prüfanträge der Krankenkassen zu Fällen, in denen die Abrechnung der GOP 35100/35110 als unzulässig angeprangert wurde, berichtet Dr. Christoph Claus, Vorstandsmitglied des HÄVH und Mitglied der Regress-AG.

Von Dr. Christoph Claus

Manchmal zweifelt man in der Praxis an der vermeintlichen Gewissheit, dass Kostenträger wirklich daran interessiert sind, Patientenversorgung zu fördern. Dass Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach die Krankenkassen kürzlich dazu verdonnert hat, ihre finanziellen Reserven abzuschmelzen, mindert diese Zweifel ebenso wenig wie externe Dienstleister, die ohne explizite Zustimmung der Versicherten Daten erhalten, die nur dazu dienen, Rezepte in den Apotheken zu retaxieren oder Verordnungen unsererseits zu regressieren.

Die neueste Masche der Krankenkassen ist, die Patientenversorgung auch bei Störungen des seelischen Befindens zu behindern. Konkret geht es hier um die Psychosomatische Grundversorgung, also um das, was wir in unseren Praxen mit den EBM-Gebührenordnungspositionen (GOP) 35100 – das ist die psychosomatische Differentialdiagnostik – und 35110 – das ist die verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen – abrechnen. Dass wir hier eine Lücke füllen, die ein numerus clausus von 1,0 und eine beschämende Honorierung gesprächspsychologischer Leistungen in der Versorgung gesetzlich und privat versicherter Erkrankter mit seelischen Störungen verursacht, sei hier nur am Rande erwähnt.

Unseligerweise hat der Gesetzgeber die Abrechnung der genannten GOP an die „Psychotherapie-Richtlinie“ https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2400/PT-RL_2020-11-20_iK-2021-02-18.pdf gekoppelt, was nicht nur wissenschaftlichen Erkenntnissen (spätestens seit Thure von Uexküll) widerspricht, sondern auch der täglich erlebten Anamnese in unseren Praxen: So ist die Asthma-Erkrankung ebenso wie die Migräne oder das Magengeschwür zweifellos nicht nur Ausdruck einer Störung des seelischen Befindens, aber ohne die Betrachtung desselben aus ärztlicher Sicht nur unzureichend beurteil- und behandelbar. Folgerichtig hat die Kassenärztliche Vereinigung des Bundeslands Bremen die Beschränkung der Abrechnung der GOP 35100/110 schon vor Jahren auch bei Diagnosen zugelassen, diese (wie das Asthma – J45.99, die Migräne – G43.0/1 oder das Magengeschwür – K25.x) nicht auf die im Kapitel „F“ - Psychische und Verhaltensstörungen vergrabenen ICD-Kodes zu beschränken, sondern bei allen derartigen Erkrankungen zuzulassen.

Während man im EBM, also der KV-Abrechnung nicht einmal verstehen wollen würde, worum es geht, ist in der HZV eine mehrfach-Abrechnung der verbalen Intervention (35110) selbstverständlich dem Zeitaufwand entsprechend möglich.

Das ICD-Problem ist dadurch jedoch nicht gelöst. „F“-Diagnosen sind spätestens dann ein Problem, wenn man eine Lebensversicherung abschließen oder verbeamtet werden möchte. Klingt banal, beinhaltet aber ein möglicherweise lebenslang bestehendes Problem. Deutsche (Ausbildungs-, Sterbegeld-, …- und) Lebensversicherer speichern lebenslangbei Arvato (Bertelsmann), dass ein Versicherungsantrag nicht angenommen wurde. Warum dies der Fall war, wird fünf Jahre gespeichert. Versicherungsmathematisch und zum Schutz der Beitragszahlenden nachvollziehbar, indes volkswirtschaftlich fragwürdig.

Leider wurde mein Antrag an die Vertreterversammlung der KV Hessen, es den Bremern gleichzutun, abgelehnt. Dies voranschickend, ist es nun endgültig an der Zeit, das richtige zu tun und die Dokumentation der Beratungsanlässe an das anzupassen, was richtig ist (Patientenversorgung) und nicht wehtut (Regressprophylaxe).

Also gilt es:

  • bei abgerechneter 35100 zu schauen, ob auch eine somatische Diagnose im Quartal (!) kodiert wurde. Wichtig dabei ist zu wissen, dass Diagnosen in der Abrechnung nicht mit Datum übermittelt werden. Daher dürfte das bei der Mehrzahl unserer Patientinnen und Patienten kein Problem sein.
  • bei abgerechneter 35110 zu schauen, dass eine gesicherte „F“-Diagnose kodiert wurde, z. B. F43.2 G oder F45.9 G, denn nur solche berechtigen zur Abrechnung dieser „verbalen Intervention“. Aber das wussten Sie ja.

Fazit: 35100 erfordert neben einer beliebigen Psycho-Verdachtsdiagnose irgendeine somatische Diagnose, irgendwann im Quartal. Und ja, das System will es so: eine Dokumentation für den Menschen, eine andere für den Regeressschutz.

Dr. Christoph Claus
Vorstandsmitglied HÄVH, 1. Vorsitzender des Bezirkes Kassel des HÄVH, Mitglied der Regress-AG des HÄVH