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Landtagswahl: Hausärzteverband Hessen und Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen formulieren gemeinsame Wahlprüfsteine

Rund 4,4 Millionen Wahlberechtigte sind in Hessen am 8. Oktober 2023 aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Für den Hausärzteverband Hessen e. V. (HÄVH) und den Landesverband Hessen des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) steht dabei die Gesundheitspolitik im Fokus. Wie kann die bewährte wohnortnahe ambulante medizinische Versorgung durch niedergelassene Hausärztinnen und Hausärzte sowie Kinder- und Jugendärzt*innen sichergestellt werden? Welche Vorstellungen haben die Parteien? Der HÄVH und der BVKJ haben Wahlprüfsteine formuliert - die Antworten der Parteien liegen nun vor. 

Die Situation für die niedergelassenen Hausärztinnen und Hausärzte sowie Kinder- und Jugendärzt*innen spitzt sich seit Jahren zu. Die erheblichen Probleme haben sich in den vergangenen Jahrzehnten durch gesundheitspolitische Fehlentscheidungen und durch die falsche Verteilung verfügbarer Ressourcen entwickelt und gefährden nun das bewährte System massiv – zumal in den kommenden zehn Jahren ca. 50 % aller hessischen Hausärztinnen und Hausärzte in Rente gehen werden und es an Nachwuchs fehlt. Bei den Kinder- und Jugendärzt*innen sieht es ähnlich aus.

Mit Blick auf die angespannte Lage und angesichts der Landtagswahl im Oktober 2023 positionieren sich der Hausärzteverband Hessen e. V. und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e. V., Landesverband Hessen, und stellen den Gesundheitspolitikerinnen und -politikern die folgenden Fragen zur zukünftigen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in Hessen.

 Arbeitsbedingungen

 1. Medikamenten- und Heilmittelregresse
Eines der größten Ärgernisse für die vertragsärztliche Tätigkeit besteht in den Medikamenten- und Heilmittelregressen (wobei das Wort „Regress“ ein Euphemismus für das Wort „Strafzahlung“ ist). Bei Umfragen geben junge Kolleginnen und Kollegen diese ständige Bedrohung ihres Privatvermögens als eines der größten Hindernisse für den Schritt in die Selbständigkeit an.

  • Wie sehen Sie die Chance, dass dieses Nachwuchsverhinderungsinstrument abgeschafft wird, z. B. durch den Einsatz einer Positivliste?

 

2. Selbstständigkeit
In der Vergangenheit wurde die vertragsärztliche Tätigkeit durch immer neue Vorschriften erschwert und zunehmend einschränkt. Nicht zuletzt führen auch die überbordenden bürokratischen Rahmenbedingungen dazu, dass sich immer weniger junge Kolleginnen und Kollegen eine Tätigkeit in eigener Praxis vorstellen können.

  • Wie sehen Sie unter diesen Bedingungen die Zukunft der ärztlichen Selbstständigkeit?

 

3. Fachkräftemangel beim Praxispersonal
Als Arbeitgeber spüren auch Hausärztinnen und Hausärzte den Mangel an Fachkräften, denn in den Praxen fehlen immer mehr medizinische Fachangestellte (MFA). Dabei leisten sie einen entscheidenden Beitrag: Sie koordinieren die Terminplanung, geben telefonische Auskünfte, organisieren das Praxismanagement, assistieren bei Diagnostik und Therapie und sie sind eine wichtige Säule in der Prävention und Prophylaxe. Durch den Mangel an MFA kommt es unter anderem zu einer Verlängerung von Prozessen und weniger Terminen für die Patientinnen und Patienten. Eine Online-Umfrage des Verbandes der medizinischen Fachberufe (VMF) im Jahr 2022 hat ergeben, dass rund 46 Prozent der MFA überlegen, den Beruf zu verlassen – auch aufgrund hoher Stressbelastung und fehlender Wertschätzung durch die Verantwortlichen in der Politik.

  • Mit welchen Strategien wollen Sie dem Mangel an Personal in den Gesundheitsberufen in Hessen begegnen?

 

Honorar

1. „Angemessene Vergütung“
Im § 72 SGB V wird eine angemessene Vergütung für ärztliche Leistungen gesetzlich vorgeschrieben. Ein Hausbesuch, der mit An- und Abreise zwischen 20 und 40 Minuten Zeit benötigt, wird derzeit mit 24,36 € (zzgl. 3,07€ Anreisepauschale) vergütet.

  • Entsprechen die derzeitigen Honorarhöhen generell aus Ihrer Sicht dieser gesetzlichen Weisung?

 

 2. Honorarsteigerung im EBM
Der Orientierungspunktwert, das heißt die Honorarsteigerung im Rahmen des so genannten einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM, Gebührenordnung für Kassenpatienten), ist in den vergangene fünf Jahren um folgende Prozentzahlen gestiegen: 2019: 1,58%, 2020: 1,52%, 2021: 1,25%, 2022: 1,275%, 2023: 2,00%. Die Krankenkassen verhandeln sogar jährlich über eine 0%-„Anpassung“ des Honorars.

  • Halten Sie diese niedrigen Steigerungsraten angesichts massiv gestiegener Praxiskosten für angemessen?

 

3. Gebührenordnung für Ärzte
Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), das ist die Abrechnungsordnung für privatärztliche Leistungen, ist seit dem Jahr 1996 nicht mehr erhöht worden. Sämtliche Leistungen für Privatpatienten stehen also weiter auf dem Honorarstand von 1996. Bei der GOÄ handelt es sich um eine Rechtsverordnung, deren Änderung nur durch die Politik beschlossen werden kann.

  • Wie stehen Sie dazu und inwiefern sind Sie bereit, diesem Zustand Abhilfe zu schaffen?

 

 Zukunft der ambulanten ärztlichen Versorgung

 1. Nachbesetzung von Praxen
Die Bevölkerung altert, die Gesamtmorbidität hat zugenommen. Gleichzeitig ist die junge Ärztegeneration mit Blick auf die „work-life-balance“ nicht mehr bereit, sich in dem Maße, wie es früher üblich war, selbst auszubeuten. Das bedeutet, die zukünftige Versorgung ist nur mit mehr Ärztinnen und Ärzten zu sichern.

  • Wie wollen Sie dafür sorgen, genügend Nachfolgerinnen und Nachfolger für die bestehenden Arztpraxen zu finden, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass ca. 50% aller hessischen Hausärztinnen und Hausärzte in den kommenden 10 Jahren in Rente gehen werden?

 2. Medizinstudium
In den vergangenen 30 Jahren ist die bundesweite Zahl der Medizinstudienplätze von ca. 16.000 auf ca. 11.000 reduziert worden. In Hessen standen im Wintersemester 2022/23 an den Standorten Marburg, Gießen und Frankfurt 1149 Plätze für Erstsemester zur Verfügung. Die Studienkapazitäten im Fach Humanmedizin an den hessischen Universitäten sollten erweitert werden. Denn es müssen deutlich mehr Ärztinnen und Ärzte ausgebildet werden, um die Kolleginnen und Kollegen zu ersetzen, die in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen werden.

  • Wie stehen Sie zu einer Ausweitung der Zahl der Medizinstudienplätze?
  • Halten Sie es für sinnvoll, den Zugang zum Medizinstudium niedrigschwelliger anzusetzen, als dies mit der alleinigen Ausrichtung am Numerus Clausus der Fall ist?
  • Könnten Sie sich vorstellen, die Universitäten zu veranlassen, Anwärter zum Medizinstudium künftig auch über eine Eignungsprüfung auszuwählen?

 

3. Notaufnahmen
Die Notaufnahmen der Krankenhäuser werden zunehmend mit Bagatell-Fällen (z. B. Ohrschmalz, Rückenschmerz seit vier Wochen etc.) geflutet. Und das obwohl tagsüber die Praxen geöffnet haben und nachts der ärztliche Bereitschaftsdienst zur Verfügung steht.

  • Wie wollen Sie versuchen, derart missbräuchlicher Ressourcenbindung Einhalt zu gebieten?
  • Wie stehen Sie insbesondere zur Einführung einer durch die Patienten bei Aufsuchen einer Notaufnahme zu bezahlenden Unzeitpauschale?

 

4. Notfallversorgung
Die Vorschläge, mit der Reform von Notaufnahmen und Rettungsdiensten Integrierte Notfallzentren zu schaffen, sind inakzeptabel. Es ist unpraktikabel, neben der bestehenden Primärversorgung zusätzliche, rund um die Uhr erreichbare Bereitschaftsdienste und Notfallzentralen zu schaffen. Zudem ist es völlig inakzeptabel, dass die Arbeit in diesen Zentren von Hausärztinnen und Hausärzten erledigt werden sollten – zusätzlich zu ihrer eigentlichen Tätigkeit in ihren Praxen und im Ärztlichen Bereitschaftsdienst.

  • Wie stehen Sie zu den Plänen, Integrierte Notfallzentren zu schaffen?

 

5. Patientensteuerung
Nicht wenige Patientinnen und Patienten nutzen ihre Versicherungskarte als Freifahrtschein, mit dem sie unbegrenzt fachärztliche Kollegen frequentieren können. Dabei kommt es aufgrund naturgemäß mangelnder Kompetenz immer wieder zu Fehlsteuerungen und Doppeltuntersuchungen.

  • Wie stehen Sie zur Einführung eines Primärarztsystems, bei dem die jeweilige hausärztliche Praxis die Patientensteuerung übernimmt?

 

6. Investorengeführte MVZ
In immer mehr Bereichen der ambulanten Medizin werden Praxen durch investorengeführte medizinische Versorgungszentren (MVZ) aufgekauft, deren primäres Geschäftsziel in der Gewinnerzielung ihrer Anteilseigner besteht. Das bedeutet, dass Dritte - nicht an der medizinischen Versorgung teilnehmende Kapitalanleger - Geld aus den Sozialkassen ziehen.

  • Halten Sie Fortsetzung dieser Entwicklung für wünschenswert?
  • Wie stehen Sie zum Verbot investorenbetriebener medizinischer Einrichtungen?

 

7. Versorgungsengpässe in ländlichen Gebieten
Der wirtschaftliche Druck auf inhabergeführte Arztpraxen führt dazu, dass immer größere Arztpraxen und Medizinische Versorgungszentren entstehen. Dies wird zwangsläufig zu einer Verminderung der Standorte führen, was wiederum die Versorgung in ländlichen Gebieten weiter verschlechtern wird.

  • Wie würden Sie diesem Versorgungsengpass entgegenwirken?

 

8. Gesundheitskioske
Der Bund will mit rund 1.000 neuen Gesundheitskiosken die gesundheitliche Versorgung in sozial benachteiligten Gebieten verbessern und Menschen in prekären Lebenssituationen sozialmedizinische Hilfe und medizinische Beratung zukommen lassen. Diesen Bedarf sehen wir grundsätzlich auch und es gibt dafür schon langjährige und erfolgreiche Lösungen, wie z. B. die Sozialberatung in Arztpraxen. Nur mit der Einrichtung von Gesundheitskiosken werden die eigentlichen Versorgungsprobleme aber nicht gelöst. Hier wird eine teure Parallelstruktur aufgebaut, die von den eigentlichen Herausforderungen ablenken soll – es ist zu befürchten, dass Gelder aus der medizinischen Versorgung abgezogen werden, um die Gesundheitskioske zu finanzieren. Abgesehen davon gibt es schon jetzt zu wenig medizinisches und pflegerisches Personal.

  • Wie stehen Sie zur Einrichtung von Gesundheitskiosken?

 

9. Gesetzliche Krankenversorgung
Derzeit gibt es 96 gesetzliche Krankenkassen in Deutschland.

  • Halten Sie diese hohe Zahl von Parallelstrukturen angesichts eines gesetzlich vorgeschriebenen identischen Leistungsumfangs und einer ebenfalls weitestgehend gesetzlich vorgeschriebenen Beitragshöhe für erforderlich?
  • Würde eine deutlich niedrigere Zahl nicht zu einer finanziellen Entlastung des Gesundheitswesens ohne Qualitätsverlust für die Bevölkerung führen?
  • Wie stehen Sie zu der Einrichtung einer Einheitskrankenkasse?

 

Christian Sommerbrodt,  1. Vorsitzender Hausärzteverband Hessen e. V.

Dr. med. Ralf Moebus, Landesverbandsvorsitzender Hessen des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzt*innen e. V.

 

Die Antworten der Parteien: 

CDU

Gruene

SPD

AFD

FDP

Linke