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Zahl der Notfälle geht seit 2016 zurück

Die Regierungskommission, die Vorschläge für eine Reform von Notaufnahmen und Rettungsdiensten vorgelegt hat, berücksichtigt die aktuelle Entwicklung nicht, sagt HÄVH-Vorstandsmitglied Jutta Willert-Jacob. Sie hat einen Blick auf die Zahlen geworfen.

Am 14. Februar 2023 stellte die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ ihre Empfehlung für eine „Reform der Notfall- und Akutversorgung in Deutschland“ vor. In ihrem Konzept geht die Kommission für den Zeitraum von 2009 bis 2019 von einer gestiegenen Inanspruchnahme von ambulant versorgten Notfällen in den Notaufnahmen der Kliniken aus. Mit Blick darauf schlägt sie eine Reform der Notfallversorgung zulasten der ambulanten Versorgung vor: Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sollen parallel zu ihren Praxen die von den Krankenhäusern und der Politik gewünschten Integrierten Notfallzentren (INZ), je nach Krankenhauslevel entweder täglich von 14 bis 22 Uhr (Level-2-Krankenhäuser) oder 24/7 (Level-3-Krankenhäuser), besetzen – übrigens ohne zusätzliche Finanzierung.

Das geht aber nur, wenn die Niedergelassenen ihre eigene Praxis vernachlässigen oder wenn sie zusätzliche freiwillige Dienstärzte finanzieren, die jedoch jetzt schon Mangelware im Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) sind. Eine konkretere Patientensteuerung lehnt die Regierungskommission in ihrer Empfehlung ab, sie entspricht vielmehr dem Wunsch einer 24/7-Versorgung mit All-inclusive-Mentalität.

Korrigierende Stellungnahme von Dr. Dominik von Stillfried

Angesichts dieser Vorschläge hat Dr. Dominik von Stillfried, der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstitutes für die kassenärztliche Versorgung (ZI), am 17. Februar 2023 zu Recht eine korrigierende Stellungnahme abgegeben. Er kritisierte, dass die Kommission die aktuellen Entwicklungen bei der Inanspruchnahme von ambulant versorgten Notfällen in den Notaufnahmen der Kliniken nicht ausreichend berücksichtigt hat, da nur ein einfacher mathematischer Vergleich der Gesamtzahl aller ambulant und stationär versorgten Notfälle über den gesamten Zeitraum von 2009 bis 2019 betrachtet worden ist. Dabei gab es nur in den Jahren 2013 bis 2016 einen deutlichen Anstieg der Fälle.

Seit 2016 gehen die ambulant und stationär versorgten Notfälle kontinuierlich zurück.

Seit 2016 gehen die ambulant und stationär versorgten Notfälle der GKV-Versicherten kontinuierlich zurück. Im Jahre 2016 wurden 10,7 Mio. Fälle gezählt. Im Jahr 2019 waren es 10,3 Mio. versorgte Fälle. Das macht einen Rückgang von 3,73 Prozent der ambulanten Notfälle aus. Unter der Corona-Pandemie erfolgte ein deutlicher Rückgang der Notfall-Inanspruchnahme, besonders bei den ambulanten Notfällen. Im Jahr 2021 wurden nur 8,8 Mio. ambulante Fälle verzeichnet, das entsprach dem Niveau des Jahres 2009, in dem 8,3 Mio. Notfälle ambulant versorgt wurden.

Inanspruchnahme des ÄBD wird unterschätzt

Im ärztlichen Bereitschaftsdienst sind bereits Entwicklungen eingeleitet worden, um die Bereitschaftsdienstärztinnen und -ärzte zu entlasten, ohne Engpässe in der Versorgung zu schaffen. Man kann zwar seit 2018 einen kontinuierlichen Rückgang der Inanspruchnahme des ÄBD beobachten. Ursache hierfür ist aber der Trend, dass der Bereitschaftsdienst oft telemedizinisch in Form einer telefonischen Beratung oder einer Videosprechstunde tätig ist. Viele, besonders nächtliche, Anfragen Hilfesuchender werden bereits telemedizinisch durch Bereitschaftsdienstärzte geklärt, ohne dass diese Leistungen abgerechnet werden. Daher tauchen diese Ausgaben nicht in den Abrechnungsdaten der Statistiken auf. Dies führt in der statistischen Betrachtung zu einer Unterschätzung der Inanspruchnahme des ÄBD. Nebenbei führt diese Nichtabrechnung zu einem Defizit in der Finanzierung des ÄBD in den kassenärztlichen Vereinigungen.

Auf dieses Defizit im ambulanten Bereich gehen weder die Politik noch solche Beratungsgremien ein, vielmehr wird diese Tatsache komplett ignoriert.   

Die Entwicklung der stationär aufgenommenen Notfälle zeigt einen kontinuierlichen Anstieg, allerdings nur bis zum Jahr 2019. Im Jahr 2020 ist ein deutlicher Rückgang der stationären Notfälle zu sehen und ab 2021 stagnieren die Fallzahlen diesbezüglich sogar. Dieser Trend hält bis zum jetzigen Zeitpunkt im Jahr 2023 an.

Überlastungen der Notaufnahmen sind hausgemacht

Hieraus folgert Herr Dr. von Stillfried, dass die Überlastungen der Notaufnahmen in den Kliniken hausgemacht seien und eher aus Personalengpässen resultieren anstatt aus steigenden Patientenzahlen. Folglich muss das Augenmerk auf einen effizienteren Personaleinsatz in allen Bereichen der Notfallversorgung gerichtet werden.

Und hier zeigt sich der Widerspruch in den neuen Reformvorschlägen der Regierungskommission. Sie fordert neue Strukturen, die nur mit einem steigenden Personalaufwand zu besetzen sein werden, und das in einer Zeit, in der Pflegepersonal knapp ist und es immer weniger medizinische Fachangestellte gibt. Daran wird sich auch in naher Zukunft nichts ändern, was die Kommission allerdings in keiner Weise berücksichtigt.   

Funktionierende Strukturen in der ambulanten Versorgung sind gefährdet

Letztlich bleibt festzuhalten, dass der Ruf nach vermehrten Zahlungen in den Klinikbereich für die Notfallversorgung zulasten des ambulanten Bereiches fehlgesteuert ist und die funktionierenden Strukturen in der ambulanten Versorgung dadurch gefährden würden.

Hier stellt sich die Frage, wohin die Fördergelder wandern, die die Kliniken erhalten – und die stetig steigen, wenn man den Statistiken der gesetzlichen Krankenkassen Glauben schenken darf. Der Verband der Ersatzkassen (VDEK) hat aktuelle Statistiken veröffentlicht, aus denen man entnehmen kann, dass die Brutto-Gesamtkosten der deutschen Krankenhäuser kontinuierlich angestiegen sind, und zwar von 41,3 Mrd. Euro im Jahr 1992 auf 109,3 MRD Euro, und das obwohl die Zahl der Krankenhäuser von 2.221 im Jahr 2002 auf 1.887 im Jahr 2021 gefallen ist. Interessant daran ist, dass der Anteil privater Träger in diesem Zeitraum von 527 Häusern auf 733 Häuser angestiegen ist. Diese Häuser sollten sich eigentlich ja selbst tragen, da sie privatwirtschaftlich geführt sind. Prominentes Beispiel, dass dies nicht der Fall ist, ist das Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM). Der Anteil von freigemeinnützigen und öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern ist dagegen gefallen, nämlich von 1.694 auf 1.154 Häuser. Dies sind in der Regel Häuser, die Unterstützung nötig haben.

Zahl der GKV-Krankenhausangaben unverhältnismäßig angestiegen

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Zahl der Krankenhäuser ebenso gesunken ist wie die Zahl der Betten (665,6 Tsd. im Jahr 1991, 483,6 Tsd. im Jahr 2021). Auch die Zahl der Berechnungstage ist im Zeitraum von 1991 bis 2021 gefallen: von 204,2 Mio. auf 120,4 Mio. Die Krankenhausfälle sind in diesem Zeitraum nur diskret angestiegen: von 14,6 Mio. (1991) auf 16,7 Mio. (2021). Die GKV-Krankenhausausgaben sind dazu unverhältnismäßig angestiegen: von 29,2 Mrd. Euro (1991) auf 85,9 Mrd. Euro – das sind 32,6 % aller GKV-Leistungsausgaben – im Jahr 2021. Dagegen benötigt der komplette ambulante vertragsärztliche Bereich mit 44,8 Mrd. Euro 17 % der GKV-Ausgaben – obwohl mehr als 97 % aller Behandlungsfälle im ambulanten System erbracht werden. Während die GKV-Leistungsabgaben im Jahr 2020 auf 2021 im ambulanten kassenärztlichen Bereich nur um 1,8 % gestiegen sind, stiegen die Krankenhausbehandlungskosten um 5,3 %.

Aus diesen Zahlen lässt sich gut ersehen, wo die Gesamtbevölkerung effektiver behandelt wird. Und trotzdem wird der ambulante Bereich mit all seiner Effektivität und Versorgungseffizienz in allen politischen Betrachtungen völlig ignoriert!

Jutta Willert-Jacob, 26. Februar 2023

Quellen:

https://www.zi.de/fileadmin/Downloads/Service/Medien/MI/MI_KH-Kommission_Zahlenwerk_2023-02-17.pdf

https://www.vdek.com/presse/daten/d_versorgung_leistungsausgaben.html