Entbudgetierung: „Rechnungsprüfer urteilen undifferenziert“ - Hausärzteverband Hessen weist Analyse des Bundesrechnungshofs zurück
Mit scharfer Kritik reagiert der Hausärzteverband Hessen (HÄVH) auf die Empfehlung des Bundesrechnungshofes (BRH), die Budgetierung ärztlicher Leistungen nicht aufzuheben. Christian Sommerbrodt, erster Vorsitzender des Hausärzteverbandes Hessen, wirft dem BRH vor, die realen Verhältnisse zu ignorieren.
Hattersheim, 4.9.2024. „Die Rechnungsprüfer verkennen, dass alles dafür getan werden muss, junge Ärztinnen und Ärzte für die Arbeit in der ambulanten Versorgung zu gewinnen. Dies wird erst dann gelingen, wenn hausärztliche Praxen endlich für alle Leistungen, die sie tagtäglich erbringen angemessen bezahlt werden“, sagt Sommerbrodt. „Die Analyse des Bundesrechnungshofes ist undifferenziert und zeigt eine geringe Wertschätzung der Arbeit der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten – dabei sind wir das Rückgrat der medizinischen Versorgung“, so Sommerbrodt. Die Rechnungsprüfer sollten auch darauf schauen, dass die Politik bereit sei, den Krankenhäusern immer mehr Geld für immer weniger behandelte Patientinnen und Patienten zur Verfügung zu stellen, so sein Appell.
Bundesrechnungshof rät von vollständiger Entbudgetierung ab
Hintergrund: Der Bundesrechnungshof hatte die Abschaffung der Honorarbudgets für Hausärztinnen und Hausärzte, die mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GSVG) kommen soll, erneut kritisiert. Bereits im Oktober vergangenen Jahres hatten die Rechnungsprüfer von einer vollständigen Entbudgetierung abgeraten. Die Kritik des BRH damals wie heute: Die Budgetierung trage dem Wirtschaftlichkeitsgebot Rechnung und schütze Versicherte vor nicht erforderlichen Leistungen. Zudem vertritt die Behörde die Auffassung, dass die Versorgung weniger gesteuert würde und es schneller zu Fehlanreizen in der vertragsärztlichen Versorgung kommen könnte, wenn die Honorarbudgets wegfallen.
„Eine gewisse Ahnungslosigkeit, was die tatsächlichen Gegebenheiten betrifft“
„Die Behauptung der Rechnungsprüfer, mit dem Wegfall von mengenbegrenzender Regulierung ließen sich Versorgungsprobleme nicht zielgerichtet lösen, zeigt eine gewisse Ahnungslosigkeit, was die tatsächlichen Gegebenheiten betrifft“, so Sommerbrodt. Jahrelang hätten sich die Gesundheitspolitiker nicht mit der Realität und der Zukunft der ambulanten medizinischen Versorgung beschäftigt und nicht einmal genügend Finanzmittel und Ressourcen zur Verfügung gestellt, um den im Sozialgesetzbuch V festgeschriebenen Versorgungsumfang – wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig – zu erfüllen.
„Für Querschüsse keine Zeit mehr“
Mit dem geplanten GVSG sei endlich das wichtigste Reformvorhaben für die Hausärztinnen und Hausärzte seit mehr als zehn Jahren in Gang gebracht worden. Im nun anstehenden parlamentarischen Verfahren müssten alle Beteiligten an einem Strang ziehen und die erforderlichen Nachbesserungen etwa bei der Ausgestaltung des Berechnungsmechanismus bei der Entbudgetierung vornehmen. „Für Querschüsse – wie wir sie insbesondere durch einige Krankenkassen erleben – haben wir keine Zeit mehr“, betont Sommerbrodt auch mit Blick auf die Einschätzung der Vorsitzenden des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), Ulrike Elsner, deren Verband mehrfach deutlich gemacht hat, dass die Ersatzkassen nichts von der Endbudgetierung halten. „Gerade die Kassen sollten wissen, dass die ambulante Versorgung nicht der Kostentreiber des Gesundheitswesens ist – im Gegenteil: Die wohnortnahe Versorgung durch die Hausarztpraxen ist der Schutzwall vor dem finanziellen Kollaps unseres Gesundheitssystems“, so Sommerbrodt.
Angesichts einer alternden Gesellschaft – mit der logischen Konsequenz einer höheren Gesamtmorbidität der Bevölkerung – hätten die Ressourcen im Gesundheitssystem rechtzeitig erhöht werden müssen, kritisiert der Vorsitzende des HÄVH. „In den kommenden fünf Jahren erreichen 30 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte in Hessen das Rentenalter. Viele von ihnen werden keine Nachfolger finden – auch weil die Bedingungen für eine Niederlassung inzwischen zu schlecht geworden sind“, sagt Sommerbrodt.
Abschließend verwies Sommerbrodt auf die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu Umsätzen, Kosten und Erträgen von Arztpraxen, deren Aufwendungen in Deutschland im Jahr 2022 um 11,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen haben. Laut Statistischem Bundesamt erhöhten sich die durchschnittlichen Aufwendungen je Arztpraxis im Jahr 2022 auf 466 000 Euro (2021: 420 000 Euro). Der Verbraucherpreisindex für Deutschland stieg im gleichen Zeitraum um 6,9 Prozent.
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