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Hausärzteverband Hessen kritisiert Kabinettsbeschluss: „Notfallreform hat gravierende Einflüsse auf die Arbeit in den Praxen“

Das Kabinett hat einen Gesetzentwurf beschlossen, der die Akut- und Notfallversorgung in Deutschland noch effizienter machen soll. Der Hausärzteverband Hessen (HÄVH) sieht das geplante Gesetz in dieser Form kritisch: „So wird die grundsätzlich sinnvolle Entlastung der Notaufnahmen nicht erreicht“, sagt Christian Sommerbrodt. Die Reformpläne seien weder bedarfsgerecht noch personell umsetzbar, betont der erste Vorsitzende des Hausärzteverbandes Hessen. „Das Gesetz sollte im parlamentarischen Verfahren grundlegend angepasst werden“, so sein Appell.

Hattersheim, 26. August 2024. „Fest steht: Eine Reform der Notfallversorgung muss sein, Notaufnahmen und Rettungsdienste sind überlastet, das ist ein Problem, dass wir angehen müssen“, sagt Sommerbrodt. Auch die Verteilung der Notfallpatientinnen und Patienten – wer wird in welche Klinik geliefert, also zum Beispiel der Schlaganfallpatientin in die Stroke-Unit – laufe nicht so optimal, wie es wünschenswert wäre.  „Aber in seiner jetzigen Form ist das Gesetz kein praktikables Konzept zur Patientensteuerung. Und dass unsere personellen Ressourcen begrenzt sind, hat der Bundesgesundheitsminister schlicht übersehen“, so Sommerbrodt.

Gemeinsam mit seinen Hausarzt-Kollegen Dr. Christian Köhler und Dr. Marc Hanefeld geht er in Folge 49 des Podcast „Das Arztgespräch“ auf die geplante Reform der Notfallversorgung ein. Das Fazit der drei Ärzte: „Wir brauchen nicht unzählige, schlecht aufgestellte parallel arbeitende Strukturen, sondern lieber ausgewählte, gut ausgestattete und effiziente Angebote“ – Sommerbrodt verweist hier unter anderem auf das SAN-Projekt in Hessen.

Notfallreform – das sieht das geplante Gesetz vor:

  • Die bundesweit einheitliche Rufnummer 116 117 der Kassenärztlichen Vereinigung ist derzeit nicht nur Anlaufstelle bei akuten Erkrankungen, hier gibt es auch Hilfe bei der Suche nach geeigneten Fachärztinnen und -ärzten. Diese beiden Aufgaben sollen künftig getrennt werden.
  • Um besser steuern und koordinieren zu können, wer welche Hilfe benötigt, sollen die KV-Rufnummer 116 117 und die Rufnummer 112 der Rettungsleitstellen digital vernetzt werden, Außerdem sollen digital aufgenommene Notfälle besser wechselseitig übermittelt werden.
  • Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen verpflichtet werden, rund um die Uhr eine notdienstliche Versorgung sicherzustellen – auch telemedizinisch.
  • Flächendeckend sollen sogenannte „Integrierte Notfallzentren“ (INZ) etabliert werden. Die INZ sollen aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer Notdienstpraxis und einer zentralen Ersteinschätzungsstelle bestehen, die Hilfesuchende zuweist. Zudem soll es künftig „Integrierte Notfallzentren für Kinder und Jugendliche“ geben. Diese sollen an ausgewählten Standorten eingerichtet werden, an denen ein besonderer Bedarf an einer integrierten Notfallversorgung für Kinder und Jugendliche besteht. Dort, wo keine speziellen Integrierten Notfallzentren für Kinder und Jugendliche eingerichtet werden, sollen Fachärztinnen und -ärzte für Kinder- und Jugendmedizin Integrierte Notfallzentren telemedizinisch unterstützen.

„Bundesregierung verspricht Versorgungsangebote, für die es kein Fachpersonal gibt“

„Die Pläne sind in dieser Form nicht umsetzbar und sollten daher im parlamentarischen Verfahren grundlegend angepasst werden“, sagt Sommerbrodt. Zwar sei die geplante Zusammenlegung der Nummern 116 117 und 112 sinnvoll – aber technisch so aufwendig und so teuer, dass die Umsetzung Jahre brauchen werde.

Ansonsten verspreche die Bundesregierung den Patientinnen und Patienten aber Versorgungsangebote, für die das Personal schlicht nicht vorhanden sei. „Mit welchen Ärztinnen, Ärzten und sonstigen erforderlichen Fachkräften soll denn die telemedizinische und aufsuchende notdienstliche Versorgung rund um die Uhr parallel zu den regulären Praxisöffnungszeiten aufgebaut werden?“, sagt Sommerbrodt. „Derzeit ist die Idee: die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, die Dienst in einem INZ haben, schließen in der Zeit ihre Praxen. Und dass, obwohl die Praxen doch ohnehin schon überlastet sind. So kann es nicht gehen“, betont er.

Wenn der Sicherstellungsauftrag der KVen um eine notdienstliche Akutversorgung in den Integrierten Notfallzentren rund um die Uhr erweitert werden solle, gehe dies einmal mehr zulasten der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte – personell wie finanziell. „Insbesondere ein flächendeckender Fahrdienst während der Sprechstundenzeiten ist weder bedarfsgerecht noch wirtschaftlich oder personell umsetzbar“, so Sommerbrodt.

Statt die Hausarztpraxen weiter zu schwächen, sollten sie gestärkt werden, denn dies könne die Überforderung der Notaufnahmen nachhaltig eindämmen. Der Fokus sollte auf echten Strukturveränderungen liegen und nicht darauf, Versorgungsangebote aufzubauen, die die Probleme eher kaschieren, statt sie zu lösen.

Sinnvoller als INZ: Strukturen des SaN-Projekts nutzen

Viel sinnvoller als die Förderung der INZ – und damit letztlich der stationären Versorgung – wäre es, die Strukturen des hessischen SaN-Projekts zu nutzen. Das deutschlandweit einzigartige Modellprojekt, das im Main-Taunus-Kreis, im Main-Kinzig-Kreis sowie im Kreis Gießen ausprobiert wird, ermöglicht eine schnelle, passgenaue Patientensteuerung durch den Einsatz digitaler Systeme (SmED/IVENA). Patientinnen und Patienten, die stationär behandelt werden müssen, können den zentralen Notaufnahmen effizienter zugewiesen werden. Wer ambulant versorgt werden kann, wird vom Rettungsdienst nicht ins Krankenhaus, sondern in eine Partnerpraxis gefahren und dort behandelt. Um Patientinnen und Patienten und ihre Daten reibungslos von einem System in das andere übergeben zu können, werden die zentralen Leitstellen des Rettungsdienstes und der KV Hessen miteinander verknüpft.