Ärztinnen bereichern die Medizin
Der Frauenanteil bei Ärzten und Psychotherapeuten steigt weiterhin kontinuierlich. Erstmals stellten sie auch bei den Hausärzten mit 50,5 Prozent die Mehrheit. Das geht aus der Arztzahlstatistik der KBV für das Jahr 2023 hervor. Ein zunehmender Frauenanteil hat weitreichende Auswirkungen auf verschiedene Aspekte des Gesundheitswesens, von der Arbeitskultur bis hin zur Patientenversorgung, sagt Jutta Willert-Jacob, Mitglied im Vorstand des Hausärzteverbandes Hessen. Die Hausärztin aus Haiger fasst die Chancen der weiblichen Medizin zusammen – und zeigt auch auf, was sich noch ändern muss.
Hattersheim, 13. August. Sie brauchte noch eine Sondergenehmigung: Als erste Frau in Deutschland legte Ida Democh-Maurmeier am 18.März 1901 im Alter von 24 Jahren an der Universität Halle das medizinische Staatsexamen ab. Im gleichen Jahr erhielten weitere acht Kolleginnen an den Universitäten Freiburg, Halle und Königsberg ihre Approbation als Ärztin. Erst zwei Jahre zuvor, am 24.April 1899, hatte der Deutsche Bundesrat Frauen zu den Staatsprüfungen für Medizin, Zahnmedizin und Pharmazie zugelassen – wenn sie die notwendigen Studiennachweise beibringen konnten, die sie bis dahin nur im Ausland erwerben konnten. Damals bezweifelte man noch, dass Frauen den Strapazen des Arztberufes standhalten könnten. Die Zeiten haben sich geändert: Heute sind laut KBV zwei Drittel aller Medizinstudierenden in Deutschland Frauen.
Im Jahr 2023 lag die Frauenquote in der ambulanten Patientenversorgung bei durchschnittlich 50,3 Prozent, 2018 betrug sie noch 46 Prozent. Zwischen den Fachgruppen gibt es allerdings Unterschiede: Insbesondere in der Psychotherapie stellen die Frauen die deutliche Mehrheit (mehr als 70 Prozent), während in den chirurgischen Fächern und der Urologie nach wie vor nur relativ wenige Ärztinnen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.
Jutta Willert-Jacob ist Hausärztin in Haiger und Mitglied im Vorstand des Hausärtzeverbandes Hessen. Zudem gehört sie dem Präsidium der Landeärztekammer an.
Veränderungen in der Arbeitskultur
Ein zunehmender Frauenanteil wirkt sich auf die Arbeitskultur aus. Frauen legen oft großen Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance und auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ihnen sind flexible Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle wichtig. Studien haben gezeigt, dass Frauen tendenziell kooperativere und kommunikativere Arbeitsstile bevorzugen, was zu einer besseren interprofessionellen Zusammenarbeit führen kann – und zu mehr Teamarbeit. Dass Frauen Teams zu besseren Leistungen bringen können, zeigt ein Feldexperiment an der Universität Kalabrien mit 430 Studierenden. https://docs.iza.org/dp11861.pdf Danach erzielen Arbeitsgruppen unter weiblicher Leitung bessere Ergebnisse als jene unter männlicher. Insbesondere Frauen laufen unter weiblicher Führung zu Höchstform auf.
Trotzdem beurteilen männliche Teammitglieder die Führungsleistung von Frauen schlechter. Fest steht: Noch immer gibt es Vorbehalte gegenüber weiblichen Führungskräften – und das nicht nur bei Männern, wie Metaanalysen von Samantha C. Paustian-Underdahl, Lisa S. Walker und David J. Woehr in Metaanalysen zeigten. https://psycnet.apa.org/record/2014-15222-001
Auswirkungen auf die Patientenversorgung
Einige Studien deuten darauf hin, dass Patientinnen und Patienten, die von Frauen behandelt wurden, von einer höheren Zufriedenheit berichten – und dies der besseren Kommunikation und höheren Empathie der Ärztinnen zuschreiben. Das Geschlecht hat offenbar auch Einfluss auf die Qualität von Behandlungen und Operationsergebnissen. Bereits 2016 zeigte eine kanadische Cross-Sectional-Analyse mit mehr als 4.000 teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzten, dass Patientinnen und Patienten, die primär von Ärztinnen behandelt wurden, weniger häufig in der Notaufnahme oder im Krankenhaus waren als bei Behandlung durch einen männlichen Kollegen. Auch gab es Unterschiede im Behandlungsergebnis bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder chronischer Herzinsuffizienz, wo ein besseres Outcome nach Behandlung durch eine Ärztin festzustellen war. https://jamanetwork.com/journals/jamasurgery/article-abstract/2808894
Geringere Sterblichkeitsrate?
Ältere Frauen, die im Krankenhaus von einer Ärztin und nicht von einem Arzt behandelt werden, haben eine geringere Sterblichkeitsrate. Zu diesem Schluss kommt eine Studie japanischer und US-amerikanischer Forscher, die im April 2024 im Fachblatt „Annals of Internal Medicine“ veröffentlicht wurde. https://www.acpjournals.org/doi/10.7326/M23-3163
Der Studie lagen Daten von mehr als 770.000 Krankenhaus-Patientinnen und -Patienten ab 65 Jahren zugrunde, von denen jeweils rund 30 Prozent von Ärztinnen behandelt wurden. Für Frauen lag die Sterblichkeitsrate innerhalb von 30 Tagen nach der Behandlung nur bei 8,15 Prozent, wenn sie von einer Ärztin behandelt wurden – gegenüber 8,38 Prozent, wenn die Behandlung durch einen Mann erfolgte. Diesen Unterschied werteten die Studienautoren als klein, aber „klinisch bedeutsam. Bei Männern gab es kaum einen Unterschied, ob sie von Ärztinnen oder von Ärzten behandelt wurden (10,15 Prozent vs. 10,23 Prozent).
In der Studie werden drei mögliche Gründe für den beobachteten geschlechterspezifischen Unterschied genannt: Ärzte könnten laut Studie bei Patientinnen eher unterschätzen, wie schwer deren Erkrankung wirklich sei. Eine weitere Vermutung der Forscher ist, dass Ärztinnen in ihrer Kommunikation mit Patientinnen und Patienten effektiver seien und sich stärker auf sie fokussieren als ihre männlichen Kollegen. Die letzte These der Studie ist, dass Ärztinnen bei sensiblen, teils schambehafteten Themen sensibler und feinfühliger sein könnten, und sich Patientinnen ihnen gegenüber eher öffnen, als es bei Ärzten der Fall ist.
Geschlechterspezifische Gesundheitsforschung
Männer und Frauen unterscheiden sich sowohl in ihren biologischen Eigenschaften als auch bei Gesundheit und Krankheit. So ist bekannt, dass Herzinfarkte sich bei Frauen durch andere Symptome bemerkbar machen als bei Männern, und auch Erkrankungen wie Depression, Asthma und Morbus Alzheimer weisen erhebliche Geschlechterunterschiede auf. Nicht immer wird das bei Diagnose und Behandlung adäquat berücksichtigt, in der Vergangenheit oft zulasten von Frauen, denn viele medizinische Standards sind traditionell an Männern ausgerichtet.
Fest steht; Es braucht mehr geschlechterspezifische Forschung und Versorgung in Deutschland – ein höherer Frauenanteil in der Forschung würde beides vermutlich voranbringen. Aktuell ist das Thema in der Pflichtlehre nur in zwei Fakultäten in Deutschland verankert: an der Charité in Berlin und an der Universität in Bielefeld. Hier hat Prof. Sabine Oertelt-Prigione im April 2021 den bundesweit ersten Lehrstuhl zum Thema „Geschlechtersensible Medizin“ übernommen. Ihr Schwerpunkt ist die geschlechtersensible Medizin.
Fazit: Was muss sich ändern?
Ein zunehmender Frauenanteil bei den Ärzten beeinflusst und verändert das Gesundheitswesen in vielerlei Hinsicht positiv. Um jedoch den Bedürfnissen und Potenzialen einer diversifizierten Ärzteschaft gerecht zu werden, müssen Arbeitsstrukturen, Ausbildung, gesellschaftliche Rahmenbedingungen – und nicht zuletzt die Bezahlung angepasst werden: Laut dem Gehaltsreport von Stepstone verdienen Ärzte im Durchschnitt 105.000 Euro, Ärztinnen jedoch lediglich 76.500 Euro, was einen durchschnittlichen Gender-Pay-Gap von 28.500 Euro ergibt.
Um den Anforderungen von Ärztinnen gerecht zu werden, die oft auch familiäre Verpflichtungen haben und auch wahrnehmen wollen, brauchen wir vermehrt Teilzeit- und flexible Arbeitszeitmodelle. Nach einer familiären Auszeit sollten Frauen leichter wieder in den Beruf einsteigen können, Job-Sharing ist hier eine gute Möglichkeit.
Für die Karriereentwicklung sollte es vermehrt Programme und Initiativen geben, die Frauen in Führungspositionen unterstützen und die Karriereentwicklung von Ärztinnen fördern. Der Verein „Spitzenfrauen Gesundheit“ setzt sich seit einigen Jahren dafür ein, die Karrierechancen für Frauen im Gesundheitswesen gezielt zu fördern. Ebenso engagiert sich der Ärztinnenbund e.V zum Beispiel mit Mentorenprogrammen für diese Kolleginnen.
AG Hausärztinnen setzt sich für frauenspezifische Themen ein
Mit Blick auf die vielfältigen Herausforderungen, die ein steigender Frauenanteil bei den Ärzten mit sich bringt, haben Ärztinnen aus ganz Hessen im Frühjahr die AG Hausärztinnen des Hausärzteverbandes Hessen e. V. gegründet. Die AG will sich in den kommenden Jahren für viele frauenspezifische Themen einsetzen und den Vorstand des Landesverbandes beraten. Themen gibt es genug, das zeigte sich bei einem Brainstorming der Teilnehmerinnen: „Anerkennung der Kinderzeiten in der Altersvorsorge, Entlastung von Hausärztinnen durch Vernetzung, Telemedizin für Ärztinnen, Arbeitsdelegationsmöglichkeiten, Mutterschutz in der Selbstständigkeit, eine familienkompatible Politik mit flexibleren Möglichkeiten, Selbstverständnis der Frau in der Rolle als Chefin“, unter anderem diese Stichworte hatten die AG-Gründerinnen am Ende zusammengetragen. Außerdem will sich die AG mit den Hausärztinnen-Arbeitsgruppen und Foren anderer Landesverbände und des Bundesverbandes vernetzen.
Jutta Willert-Jacob