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Online-Treffen vor den Sommerferien: Christian Sommerbrodt gibt Überblick über Lauterbachs Gesetzesvorhaben

In den vergangenen Monaten hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine Vielzahl von Gesetzen angekündigt. Referentenentwürfe wurden unter der Hand veröffentlicht und wieder zurückgezogen, „kaum eines passt zum anderen“, sagt Christian Sommerbrodt. Der erste Vorsitzende des Hausärzteverbandes Hessen (HÄVH) gab bei einem informellen Treffen der Delegierten des Verbandes einen kurzen Überblick darüber, was die laufenden Verfahren für die hausärztliche Versorgungsebene bedeuten können.

Hattersheim, 13.7.2024. Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune, Gesetz zur Reform der Notfallversorgung, Gesetz für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform und fünf weitere: Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband steht mit seiner Kritik an den insgesamt acht Gesetzesvorhaben nicht alleine. Von der KBV über die Bundesärztekammer bis hin zur Krankenhausgesellschaft oder zum Verband der Apotheken: Alle fordern Änderungen oder sogar die Rücknahme der Vorhaben. Was ist im Einzelnen geplant?

Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG)

Kein HZV-Bonus, keine Primärversorgungszentren, keine Aufstockung der Zahl der Medizinstudienplätze, wahrscheinlich auch keine Gesundheitskioske und keine Gesundheitsregionen mehr: Zentrale Reformvorhaben, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach beim Krisengipfel im Januar angekündigt hatte, sind inzwischen gestrichen. Geblieben sind die Entbudgetierung, die Jahrespauschale und die Vorhaltepauschale. Positiv zu sehen ist die Einführung einer Bagatellgrenze bei den Regressen.

Statement HÄVH: Das GVSG ist das wichtigste Reformvorhaben für die Hausärztinnen und Hausärzte seit mehr als zehn Jahren. Klar ist aber auch: Damit die Hausarztpraxen – so wie von der Politik beabsichtigt – profitieren, muss das GVSG noch an mehreren Stellen angepasst werden, so zum Beispiel beim Berechnungsmechanismus bei der Entbudgetierung.

 

Gesetz zur Reform der Notfallversorgung (NotfallG)

Geplant sind integrierte Notfallzentren (INZ), die aus der Notaufnahme eines zugelassenen Krankenhauses, einer Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung und einer zentralen Ersteinschätzungsstelle bestehen soll. Die Leitung und Verantwortung sollen grundsätzlich beim Krankenhaus liegen. Für die notdienstliche Akutversorgung ist vorgesehen

  • die Beteiligung an Integrierten Notfallzentren nach § 123 und Integrierten Notfallzenten für Kinder und Jugendliche nach § 123b,
  • ein telefonisches und videounterstütztes ärztliches Versorgungsangebot 24 Stunden täglich, auch durch Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin und einen aufsuchenden Dienst 24 Stunden täglich.

Zudem sollen die Landesausschüsse erweitert und eine Akutleitstelle eingeführt werden.

Statement HÄVH: Es bedarf dringend einer Reform der Notfallversorgung, denn die bisherige Struktur ist zum Scheitern verurteilt. Die Pläne der Bundesregierung sind jedoch in dieser Form nicht umsetzbar und sollten daher im parlamentarischen Verfahren grundlegend angepasst werden. Denn die Bundesregierung verspricht den Patientinnen und Patienten Versorgungsangebote, ohne zu sagen, woher das Fachpersonal dafür kommen soll. Die Hausarztpraxen können jedenfalls definitiv keine Fachkräfte entbehren. Abgesehen davon verbessern immer neue Parallelstrukturen die Situation nicht.

Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass eine stärkere Steuerung der Versorgung durch Hausärztinnen und Hausärzte die Überforderung der Notaufnahmen nachhaltig eindämmen kann, denn so wird sichergestellt, dass Patientinnen und Patienten wirklich nur dann die Notfallstrukturen nutzen, wenn es notwendig ist. Der Fokus sollte auf solchen echten Strukturveränderungen liegen und nicht darauf, Versorgungsangebote aufzubauen, die die Probleme eher kaschieren, statt sie zu lösen.

 

Gesetz für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform (ApoRG)

Die Impfberechtigungen für Apotheker (§20c IfSG) soll erweitert werden: Apotheker dürfen neben Grippe- und COVID-19-Impfungen zukünftig auch andere Schutzimpfungen mit Totimpfstoffen durchführen. Diese Maßnahme zielt darauf ab, die Impfquoten bei Erwachsenen zu verbessern.

Zudem ist die Aufhebung des Arztvorbehalts geplant: Apotheken dürfen patientennahe Schnelltests auf folgende Infektionen durchführen (§24 IfSG): HIV, Hepatitis-C-Virus, SARS-CoV-2 (COVID-19) und Treponema pallidum (Syphilis).

Nicht zuletzt sieht das Gesetz strukturelle Anpassungen für Apotheken vor – wie flexiblere Öffnungszeiten, einfachere Gründung von Zweigapotheken und die Möglichkeit, Apotheken bei Anwesenheit erfahrener PTAs zu öffnen.

Statement HÄVH: Dass künftig Apotheken Impfungen – von der Tetanus- bis zur FSME-Impfung – anbieten können, wird nicht dazu führen, dass die Impfquoten steigen. Dass diese Rechnung nicht aufgeht, zeigt die sehr geringe Anzahl an Corona- und Grippeimpfungen, die in den vergangenen Jahren in den Apotheken durchgeführt. Der HÄVH plädiert dafür, die Impfungen stärker in den Hausarztpraxen zu bündeln. So kann sichergestellt werden, dass jemand den Gesamtüberblick über notwendige bzw. fehlende Impfungen hat. Dass diese Bündelung der Verantwortung funktioniert, zeigen die Zahlen aus der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV). Laut Erhebungen von Krankenkassen sind die Impfquoten in der HZV knapp zehn Prozent höher als in der Regelversorgung. Besser wäre es, die Beratungskompetenz der Apotheken stärker zu nutzen und einen festen Prozess zu etablieren, wie Impflücken auch durch die Apotheken erkannt werden können, um die Betroffenen im Anschluss strukturiert in die Praxen zu vermitteln.

 

Gesetz zur Schaffung einer Digitalagentur für Gesundheit (GDAG)

Bei diesem Gesetz geht es um Vorgaben für Praxisverwaltungssysteme (PVS):  So soll ein reibungsloser Wechsel des PVS soll verbindlich werden. Arztpraxen sollen einen Rechtsanspruch auf Schadenersatz bei Kosten durch PVS-Wechsel erhalten. Die Gematik GmbH wird zu „Gematik – Digitalagentur Gesundheit“, es ist ein Kompetenzzentrum für Interoperabilität geplant – und die ePA soll weiterentwickelt werden.

Statement des HÄVH: Wir stehen der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) grundsätzlich offen gegenüber, denn sie hat das Potenzial, die Versorgung erheblich zu verbessern. Allerdings muss die ePA praxistauglich und benutzerfreundlich gestaltet sein, damit sie im Alltag tatsächlich nutzbar ist. Aktuell weist die ePA erhebliche Mängel auf, die ihre praktische Anwendung stark einschränken. Diese müssen dringend behoben werden, damit die ePA ihre Vorteile voll entfalten kann und nicht zur zusätzlichen Belastung im Praxisalltag wird. Stand jetzt sehen wir nicht, dass die ePA im Januar reibungslos funktionieren wird. Das wird, gerade in der Infektsaison, für Chaos sorgen. Die bisherige Performance der Gematik macht einerseits einen Neustart überfällig, löst aber andererseits Zweifel aus, das sich etwas ändert. Es sei denn man ist bereit, auf die Stimmen der Niedergelassenen einzugehen, anstatt sie mit störanfälligen Anwendungen in den Vorruhestand zu treiben.

 

Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit (GHG)

Hierbei geht es um die Früherkennung bei Kindern und Jugendlichen: Kinder und Jugendliche sollen durch die Krankenkassen zur J1-Untersuchung (12-14 Jahre) eingeladen werden, um sie auf eine Fettstoffwechselstörung zu untersuchen. Auch die Früherkennung bei Erwachsenen soll gefördert werden: durch erweiterte Gesundheitsuntersuchungen (Check-up) nach Altersgruppen und Risikostufen; der Herzcheck ist geplant für 25-, 35- und 50-Jährige, sie sollen von den Krankenkassen persönlich eingeladen werden bzw. Gutscheine erhalten.

Zudem sieht das Gesetz vor, den Zugang zu Statinen für Personen mit hohem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erweitern. Dies umfasst die Senkung der Schwellenwerte für die Verschreibung von Statinen und die Erleichterung der Kostenübernahme durch Krankenkassen.

Nicht zuletzt sollen Apotheken verstärkt in die Beratung von Patienten zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingebunden werden. Dies umfasst Informationen zu gesunden Lebensgewohnheiten, Medikamenteneinnahme und möglichen Wechselwirkungen.

Statement des HÄVH: Bei der Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen und ihrer Folgen hat unser Gesundheitssystem dringend Nachholbedarf – es herrscht kein Zweifel daran, dass hier mehr getan werden kann und muss. Das „Gesundes-Herz-Gesetz“ ist allerdings aus unserer Sicht der falsche Weg. Immer mehr Tests und eine Medikamentenvergabe per Gießkannenprinzip lehnen wir ab.

Zwar ist der zielgerichtete Einsatz von Statinen sinnvoll und wichtig, das ist jedoch immer eine individuelle Entscheidung zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/Patient. Es ist befremdlich, wie detailliert der Gesetzgeber am Gemeinsamen Bundesausschuss vorbei in konkretes ärztliches Handeln eingreifen will, beispielsweise indem er darlegt, wann Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Statinen haben. Zudem setzt der Entwurf auf ein für viele Betroffene nicht geeigneten Punkte-Verfahren (Score2), das im Gegensatz zu beispielsweise ARRIBA nicht auf prospektiven Studien basiert.

Ein Gesetz, das Morbidität und Mortalität durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen langfristig reduzieren will, sollte die gezielte Primärprävention, mit Fokus auf einen gesunden Lebenswandel, Adhärenz sowie familiäre und sozio-ökonomische Faktoren, fördern.

Wenn das Gesetz so umgesetzt wird, werden die Krankenkassen jährlich insgesamt 5,7 Millionen Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu Untersuchungen einladen. Für die derzeit rund 55.300 Hausärztinnen und Hausärzte sowie rund 8.390 Kinder- und Jugendärzte bedeutet dies eine zusätzliche Arbeitsbelastung von bis zu 16 Arbeitstagen pro Jahr.

 

Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit

Mit diesem Gesetz soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in einem Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit am Bundesgesundheitsministerium aufgehen. Dort sollen Aktivitäten im Bereich der Öffentlichen Gesundheit, der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGC) und die Gesundheitskommunikation des Bundes angesiedelt sein. Das Institut soll unter anderem folgende Aufgaben übernehmen:

Gesundheitsberichterstattung, Stärkung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, wissenschaftliche Forschung und Entwicklung von Leitlinien und Standards. Als Themenschwerpunkte werden die Digitalisierung und Forschung, die Stärkung der Öffentlichen Gesundheit, die Stärkung der Vorbeugung und Verhütung von Krankheiten sowie die Kommunikation (Gesundheits-, Krisen- und Risikokommunikation) genannt.  

Statement des HÄVH: Zentralisierung hat im deutschen Gesundheitswesen zu keiner Zeit zu Kosteneinsparungen geführt. Die grundsätzlichen Ziele des Gesetzes sind zu begrüßen – wie sich allerdings eine Statintherapie für Kinder darunter eingliedern lassen soll, entzieht sich hausärztlichen Verständnisses.

 

Medizinforschungsgesetz (MFG)

Mit dem Medizinforschungsgesetz sollen die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten werden angepasst werden. Klinische Prüfungen und das Zulassungsverfahren von Arzneimitteln und Medizinprodukten sollen vereinfacht und entbürokratisiert werden. Geplant ist eine neue übergreifende Koordinierungsstelle für Zulassungsverfahren und Anträge zu klinischen Prüfungen für Arzneimittel beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Die GKV und pharmazeutischen Unternehmer erhalten die Möglichkeit, vertrauliche Erstattungsbeträge bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu vereinbaren.

Statement des HÄVH: Auch hier ist fraglich, ob eine neue Behörde geeignet ist, bürokratische Hemmnisse abzubauen. Die Intransparenz der Erstattungsbeträge bei Arzneimitteln ist keine Lösung, sondern das Problem der Rabattverträge.